Die Verwendung von Kunststoffen im Innenraum


Die Verwendung von Kunststoffen gewann im Laufe der 50er Jahre zunehmend an Bedeutung für die Ausgestaltung des Innenraums. Vor allem Kunststoffe wie Polyvinylchlorid und Melaminharz, die als Bodenbeläge und zeittypische Resopal-Möbeloberflächen Verwendung fanden, prägten die Raumgestaltung jener Zeit. Während Polymerschäume auf Polyurethanbasis aufwändige klassische Polstertechniken und den teuren Schaumgummi aus Kautschuk mehr und mehr verdrängten, wurde durch glasfaserverstärkte Polyesterharze die unproblematische Herstellung dreidimensionaler Möbelformen möglich. Das amerikanische Designerpaar Ray und Charles Eames nützte diese Vorteile zur Produktion von Schalensesseln und –stühlen und verhalf so der kuntststoffsichtigen Möbeloberfläche zu internationalem Durchbruch. Die modische Tendenz zu organischen Möbelformen ließ sich mit Kunststoffmaterialien optimal verwirklichen. Die Möglichkeiten der Kunststoffverwendung zur Interieurgestaltung wurden vor allem im Italien der 60er Jahre forciert entwickelt, als große Möbelunternehmen, wie beispielsweise die Firma Kartell, in eigens eingerichteten Untersuchungslabors, zusammen mit Designern und der chemischen Industrie experimentierten. So entstand im Jahr 1964 der aus Polyethylen (HD) bestehende zerlegbare Kinderstuhl ‚K 1340‘. Es folgten so weltbekannte Klassiker wie 1965 Joe Colombos ‚Universale‘, der erste einteilige Kunststoffstuhl für Erwachsene aus ABS sowie in Deutschland 1966 Helmut Bätzners sogenannter ‚Bofinger Stuhl‘ BA 1171 aus glasfaserverstärktem Polyester.

 

Tim Bechthold

Vitra Design Museum, Weil am Rhein (D)
 


In Deutschland waren es vor allem die chemischen Erzeugnisse und Verfahren der Firmen Bayer und BASF, die die rasche Verbreitung der Kunststoffe im Eigenheim beschleunigten. Dank zahlreichen Fachartikeln in Möbelzeitschriften sowie infolge des jährlichen Wechsels von Möbel- und Kunststoffmesse in Köln eröffnete sich den Möbelherstellern das enorme und gewinnträchtige Potential der Kunststoffanwendung. Um die Effizienz und Marktakzeptanz zu testen entstanden zahlreiche Prototypen und Kleinserien. Der materialbedingte neue Formenkatalog war begleitet von glatten, hochglänzenden Oberflächen, die in ihrer klaren Farbigkeit deutliche Akzente setzten. Das bereits in den 50er Jahren vorherrschende Streben nach Leichtigkeit und Mobilität erfuhr neue Dimensionen. So sorgte im Jahr 1967 Bernard Quentin mit dem ersten aufblasbaren, transluziden Sessel aus elektrisch geschweißtem Polyvinylchlorid für Aufregung. Maximiert wurde dieses Produktionsprinzip 1970 mit dem Fuji-Pavillon auf der Weltaustellung in Osaka.

Die stetige Weiterentwicklung der Polyurethane führte zu einer Vielzahl verschiedenartiger Anwendungen. Sie reicht von skulptural anmutenden Integralschaumsesseln, wie beispielsweise dem bei Vitra entwickelten Panton-Chair, über die Ende der 60er Jahre in Italien entworfenen Weichschaumobjekte der FunFoam-Serie von Gufram bis hin zu antropomorphen Wohnlandschaften, gebildet aus Gitterdraht und Hartschaum, oft mit Oberflächen aus Polyesterharz. Begleitet von einer weit verbreiteten Kunststoffeuphorie entstanden zum Ende des Jahrzehnts futuristische Wohnlandschaften, für die ein Film wie Kubricks ‚Odysee im Weltraum‘ Pate gestanden haben könnte. Besonders avantgardistisch sind in diesem Zusammenhang die 1970 und ´71 im Rahmen der Kölner Möbelmesse gezeigten Raumentwürfe von Joe Colombo und Verner Panton für die Bayer AG, die unter der Bezeichnung Visiona 1 und 2 Weltruhm ernteten.

Die Kunststoffeuphorie der 60er Jahre fand mit der Ölkrise 1973 ein jähes Ende. Infolge drastischer Verteuerung des Ölpreises wandte sich das möbelproduzierende Gewerbe wieder verstärkt den traditionellen Materialien zu.
Erst im Laufe der 80er Jahre gewannen die Kunststoffe für die Gestaltung von Möbeln wieder zunehmend an Bedeutung.


 
Die Verwendung von Kunststoffen im Innenraum